„Martin Luther würde twittern!“ Oder: Wie Smartphones und soziale Medien das Christsein verändern.
Predigt im Lichtblick am 19.03.2017 von Pfarrerin Elfriede Bezold-Löhr
„Martin Luther würde twittern!“
Oder: Wie Smartphones und soziale Medien das Christsein verändern.
Was ein Smartphone alles möglich macht. Es ist inzwischen acht Jahre her, dass Pfarrer Pete Philipps aus einer Kirche geflogen ist. Er saß in einer Bank der Kathedrale von Durham in England – und hat in der Bibel gelesen. Das wusste allerdings der Herr nicht, der ihn streng und kompromisslos darauf hingewiesen hat, dass die Benutzung von Mobiltelefonen in der Kirche nicht erlaubt wäre. Pete Philipps hat in der Bibel mithilfe seines Smartphones gelesen. Er hatte sich das Alte und das Neue Testament komplett heruntergeladen. Unvorstellbar für den Kirchen-Wärter, dass in dieses kleine Kästchen all die vielen Wörter reinpassen könnten. Dass man auf dem Smartphone die Bibel lesen kann. Daher musste Pete Philipps aus der Kirche raus.
Eben dieser Pete Philipps leitet heute das Forschungszentrum für Digitale Theologie an der Universität von Durham. Er forscht darüber, wie Smartphone und das Internet den Glauben und das Christsein in den letzten Jahren verändert haben. Eine Erkenntnis: Die Nutzung von Smartphones und Tablets in Gottesdiensten und Kirchen ist längst kein Tabu mehr. An der Sommersdorfer Kirche hängt ein ‚QR-Code‘ (QR steht für ‚quick response‘, übersetzt ‚schnelle Antwort‘) . Wer ein Handy dabei hat und damit dieses schwarze Quadrat fotografiert, kann sofort nähere Informationen über das Kirchengebäude nachlesen. Im Gottesdienst wird ein Computer dafür verwendet, dass Liedtexte an die Wand geworfen werden können. Die Vorlagen dafür holen sich unsere Techniker aus dem Internet, auch die schönen Fotos dazu. Meine Predigten schreibe ich auf dem Computer und lese oft zum Thema vorher im Internet nach. Die Bibel für’s Smartphone gibt es seit 2008. Sie ist inzwischen 260 Millionen Mal herunter geladen worden. Sie ersetzt inzwischen für viele Leute das Bibel-Buch. Das bedeutet ganz praktisch: Hab ich mein Handy dabei, dann hab ich auch immer meine Bibel dabei. Ich kann spontan etwas nachlesen. Ich kann dann, wenn ich etwas nicht verstehe, über’s Internet – ebenfalls via Handy – gleich eine Erklärung in einem Kommentar suchen. Wenn mich eine Textstelle besonders berührt, kann ich sie über die Anwendung ‚Whatsapp‘ gleich mit einem anderen teilen.
Wer nie in die Kirche gehen würde, wer nie für eine Bibel Geld ausgeben würde, wer mit der Angabe ‚4. Mo.6, 24‘ im Gottesdienst überhaupt nichts anfangen könnte – der könnte durchaus daheim auf dem Sofa mal ‚reinlesen‘ in die Bibel. Wenn er sie auf dem Smartphone hat, kostenlos heruntergeladen.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Es gibt ein ‚Aber‘. Wer nur die winzigen Häppchen auf seinem Smartphone nachliest, bekommt den großen Zusammenhang nicht mit. Er ‚spürt‘ die Bibel, das Wort Gottes als Ganzes nicht. Kann den Bogen, der sich vom Ersten Buch Mose im Alten Testament bis zur Offenbarung im Neuen Testament spannt, nicht erahnen. Gott geht mit seiner Welt und uns Menschen lange Wege. Spannende Wege mit vielen ‚Aufs und Abs‘. Davon kriege ich via Smartphone nur winzige Schritte mit. Es hat noch einmal eine ganz andere sinnliche Dimension, wenn ich meine Bibel in der Hand habe. Wenn ich mich nach und nach darin immer besser zurecht finde. Wenn ich mir Notizen an den Rand machen kann. Ich streiche mir inzwischen oft die Predigttexte an und schreibe mir ein Datum dazu.
Es geht aber noch tiefer. Forschungen haben ergeben, dass die Art und Weise, wie ich einen Text lese, sich darauf auswirkt, wie ich ihn verstehe. Einen Text, den ich auf einem Bildschirm lese, nehme ich oft wortwörtlich. Einen Text, den ich in einem ganzen Buch lese, sehe ich im Zusammenhang. Sogar meine Gefühle sind betroffen! Es ist nämlich laut kluger Untersuchungen ein Unterschied, ob ich auf einen Bildschirm schaue oder in ein Buch. In das Buch. Lese ich Bibeltexte auf dem Smartphone, dann „ist es ein flacheres Lesen, dafür wurde die Bibel nicht geschrieben. Am Ende liest du den Text, als ob es Wikipedia wäre, anstatt es als Heiligen Text aufzunehmen.“ [1]
Noch einen Nachteil kann es haben, dass wir die Bibel in diesem Kästchen finden: Wir brauchen die Kirche nicht mehr. Wir können doch daheim lesen. Wir können uns in den Wald setzen und dort Andacht mit dem Smartphone halten. Wir können die Lichtblick-Predigt hören und dabei auf dem Sofa liegen.
Glaube und Gemeinschaft gehören zusammen. Dabei sind wir dann aber allein. Allein mit unserem Glauben, mit unserem Nachdenken über Gott und mit unseren Fragen. Das wollte Jesus nie. Er hatte fast immer einen Kreis von Menschen um sich, zumindest seine engste Freunde. Wenn er sie losgeschickt hat, dann nie allein, sondern mindestens immer zu zweit. Glaube und Gemeinschaft – das gehört für Jesus untrennbar zusammen: „Ich sage euch (…): Wenn zwei von euch hier auf der Erde darin eins werden, eine Bitte an Gott zu richten, dann wird mein Vater im Himmel diese Bitte erfüllen. Denn wo zwei oder drei zusammenkommen, die zu mir gehören, bin ich mitten unter ihnen.“ [2]
Pick and choose – ein Auswahlglaube? Wenn wir ‚zwei oder drei‘ sind beim Nachdenken über den Glauben, begegnen wir damit auch einer anderen Gefahr: Wir beugen dem vor, dass wir uns einen Gott basteln, wie wir ganz persönlich ihn gerne hätten. Einen ‚Auswahlglauben‘ nennt das die Wissenschaft. Ich suche mir heraus, welche Züge an Gott mir gefallen. Die anderen lasse ich fallen. Ich konzentriere mich auf meine Lieblingsstellen in der Bibel. Teile die mit anderen. Wenn wir unseren Glauben gemeinsam leben, ist diese Gefahr geringer. Weil wir einander ergänzen können. Unsere verschiedenen Sichtweisen einbringen und damit nicht eng werden.
Unter der Generation der heute 20 bis 25jährigen entdeckt Pete Philipps da eine Tendenz, die mich überrascht hat: Die Generation Y zieht den Glauben an Gott dem Glauben an Jesus Christus vor. Begründung: Es ist unpersönlicher. „Die Generation Y zieht das generelle Bild eines Gottes einem eingreifenden Gott vor; sie ziehen Gott auch Jesus vor, weil Gott so unspezifisch ist. Er steht hinter ihnen und erlaubt ihnen, mit ihrem Leben so weiterzumachen wie bisher, während Jesus ins Leben kommt und in alles eingreift.“ [3] Unsere Gemeindevision steht dem komplett entgegen: Menschen jeden Alters erleben mit uns Jesus Christus. Da geht es eben gerade um den Gott zum ‚Anfassen‘ – der ist mir dann aber auch nahe und geht mir nahe ….
Smartphones und soziale Medien – adé? Also weg mit all dem neuen Zeug? Zurück ausschließlich zum bedruckten Papier und zur Andacht in vertrauter Runde?
Nein. Wir brauchen kluge Köpfe und gelassene Herzen im Umgang mit den neuen Medien. Sie können Segen sein. Sie können Fluch sein. Es entscheidet sich alles an der Frage: Dienen die neuen Medien mir – gerade als Christ, als Christin – oder diene ich ihnen?
Ein großes Anliegen von Jesus ist es, dass wir das Evangelium unter die Leute bringen. („Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern / Lehrlingen/ Nachfolgern alle Völker. Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch geboten habe.“ Matth. 28, 16 ff) Wir sollen anderen Leuten das Evangelium ‚vermitteln‘. Darin steckt das Wort ‚mediare‘! darin stecken die ‚Medien‘! Sie sind nichts anderes als ‚Vermittlungshilfen‘. Was hilft dazu, dass Gott unter die Leute kommt? Was bringt Menschen mit Jesus Christus in Berührung? Wie werden sie auf ihn aufmerksam, öffnen ihm ihr Herz und ihr Leben?
Ein Meister der Medien: Martin Luther. Ein Meister in der Nutzung der Medien war Martin Luther. Er hat seine Gedanken an Schlosstüren gehämmert und hat damit schon im Mittelalter die erste Lithfasssäule kreiert! Er hat ‚Flugschriften‘ verfasst. Kurze Texte, in deutscher (!) Sprache geschrieben, in denen er auf aktuelle Fragen Antworten auf Grund der Bibel gesucht hat. Er hat diese Texte in Druckwerkstätten vervielfältigen lassen. Neumodisches Zeug genutzt, damit so viele Leute wie möglich seine Gedanken mitbekommen haben. Martin Luther hätte heute sicher Internet. Er würde Mails schreiben ohne Ende. Er würde sich per Whatsapp mit seinen Studenten in Gruppen treffen, damit sie jederzeit ihre Fragen an ihn loswerden könnten. Bilder von ihm würden auf Instagram hochgeladen. Ihm wäre jedes Mittel recht, um Gottes Wort in unserer Welt bekannt zu machen als die beste Lebens-Grundlage, die es für uns gibt.
Aber, wie schon gesagt: Es braucht dazu Weisheit. Dienen diese Medien mir? Oder diene ich ihnen? Da bleibt ein guter Weg immer auch ein Anliegen fürs Gebet. Amen.
[1] Rebekka Schmidt, Livenet / BBC. Digitalisierter Glaube. Wie Smartphone und Soziale Medien das Christsein verändern.
[2] Matthäus-Evangelium, Kapitel 18, Verse 19 Und 20.
[3] Rebekka Schmidt, Livenet / BBC. Digitalisierter Glaube. Wie Smartphone und Soziale Medien das Christsein verändern.