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Besondere Zeiten. 24.06.2020

Puuh – es bleibt ‚anspruchsvoll‘. Sagen wir es so. Da sind die Entscheidungen der Regierung, dass wir während der Gottesdienste wieder unsere Masken abnehmen dürfen. Darüber freue ich mich, die ich selbst gern singe, sehr. Denn vor allem für Brillenträger*innen war das in den letzten 100 Tagen oft ein Blindflug mit vernebelter Sehhilfe, wenn sie bei einem Lied mitsingen wollten. Schön auch, dass wir uns wieder in größerer Runde treffen dürfen. Wir können gemeinsam grillen, ein schönes Glas Sommerwein trinken oder uns am Badesee zu einem entspannten Nachmittag treffen. Die Straßencafés werden voller, der Verkehr wieder dichter – das Leben nimmt wieder Fahrt auf.
Aber dann sind da diese anderen Nachrichten, die schmerzen: Leute, teilweise ganz junge, kommen zu ‚Tafeln‘ und holen sich unter Tränen Lebensmittel ab. Sie haben, noch vor vier Monaten unvorstellbar, Hunger. Sie sind durch die Pandemie arbeitslos geworden, erleben plötzlich blanke Not. Anderen gehen die Nerven durch, sie explodieren nachts  in einer Orgie von Gewalt und leben Brutalität und Zerstörungswut in der Stuttgarter Innenstadt aus. Hunderte von Leuten. Ein Gemisch von Nationalitäten. Aus dem Nichts zusammengeschweißt als marodierender Mob. Filmchen dokumentieren die Gewalttaten dann noch fürs Internet.

Das lässt mich verwirrt zurück. Und, sagen wir es vorsichtig, besorgt. Was geht hier ab?

Ich kann mir vorstellen, dass die letzten drei Monate viele Menschen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht haben. Dass sie erschöpft sind und frustriert. Und mancher scheint so ‚neben sich zu stehen‘, dass er sich vergisst. Und komplett ausflippt. Wie begegnen wir diesen Gegebenheiten? Wie kann die explosive Wut, die in manchem unter uns wohl schwelt, in Bahnen gelenkt werden, die Schlimmes vermeiden? Mit Gewaltorgien wie der am letzten Wochenende in Stuttgart zerstören Menschen viel mehr als ‚nur‘ Fensterscheiben von  Autos und Geschäften. Sie zerstören ihr eigenes Leben. Sie zerstören Vertrauen und Beziehungen. Da gibt es nur negative Folgen – das hat keinerlei Sinn.

Mir ist im Gespräch mit einem Freund in diesen Tagen bewusst geworden, wie viel ‚Kopf und Herz‘ zur Zeit von uns allen verlangt wird. Da sind diejenigen unter uns, die durch die Pandemie kaum getroffen worden sind. Sie hören im Idealfall sensibel denjenigen zu, denen es so ganz anders ging. Und helfen dort, wo sie es können. Und die, denen es so ganz anders ging, müssten über ihre Not, ihren Frust, ihre Verzweiflung in der Tat offen REDEN. Mit Leuten, denen es nicht um Schlagzeilen und Filmchen geht, sondern um die Bewahrung unseres Zusammenlebens. Um das, was wir unseren ‚sozialen Frieden‘ nennen. Weil wir zusammenleben, weil wir alle gemeinsam eine Art ‚Netzwerk‘ bilden, hängt letztlich auch einer vom anderen ab. Das wird in diesen Tagen deutlicher denn je. Kriegen wir das hin, dass wir einander unterstützen? Dass wir uns nicht abgrenzen, nicht radikalisieren, nicht zu schnell schwarz-weiß denken?  Puuh. Es ist anspruchsvoll. Es bleibt anspruchsvoll.

Nachdenkliche Grüße am Ende dieser ‚Mittwochsmail‘ aus dem Sommersdorfer Pfarrhaus.

Elfriede Bezold-Löhr

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