Liebe Leserin, lieber Leser, an diesem Wochenende weihen wir in unserer Kirchengemeinde ein Mahnmal ein.…
Besondere Zeiten. Tagebuch, Seite 11
Jetzt weiß ich noch klarer als bisher, was ‚sich einschränken‘ heißt. Alle bisherigen Corona-Auflagen konnte ich gut mittragen. Sie waren und sind ungewohnt, aber sie haben sich umsetzen lassen…
Mein heutiger Montag war zunächst ruhig. Am Vormittag Geburtstagsbriefe schreiben, Kerzen heraussuchen, ein ansprechendes Heft dazulegen – und dann mit dem Auto losfahren und diese Grüße nur an der Haustür abgeben oder im Briefkasten deponieren. Mittagessen kochen. Eine telefonische Anfrage für eine Taufe vertagen auf die Zeit, wenn wieder alles normal läuft. Mails beantworten. Im Garten weiterarbeiten.
Gegen 18 Uhr klingelt mein Telefon. Ein Kollege aus Gerolfingen ist am Apparat. Er koordiniert die Notfallseelsorge und erreicht in unserer Region bis dahin keine Pfarrerin, keinen Pfarrer. Es würde Hilfe in einem unserer Dörfer gebraucht, da jemand sehr überraschend gestorben ist. Ich fahre los, keine Frage. Als ich in dem Haus ankomme, muss ich meine Hände in den Taschen lassen, um mich selbst daran zu erinnern: „Nicht die Hand geben. Egal, wonach dir jetzt ist. Deine Hände bleiben in den Taschen.“ Den Notärzten würde ich sie vielleicht gar nicht intuitiv hinstrecken. Aber den Angehörigen, die mit versteinertem Blick in der Küche stehen. Wie gut täte es jetzt, sich mit der schlichten Geste eines Händedrucks ohne Worte näher kommen zu können. Stattdessen muss ich auf Abstand bleiben. Wir müssen uns möglichst weit auf der Couch im Wohnzimmer voneinander wegsetzen. Die Vorschrift des Mindestabstands von zwei Metern ist in dieser halben Stunde absurd. Vor allem dann, als wir am Bett des Verstorbenen eine Kerze anzünden und miteinander beten.
Als ich mich verabschiede, noch einmal diese erzwungene Distanz. Kein Händedruck, keine tröstliche Umarmung. Nur ein etwas hilfloses „Ich würde Ihnen gern die Hand geben, aber wir wissen ja alle …“. Bestätigendes Nicken. Verständnis von allen Seiten.
Wie gut tun solche kleinen Gesten im Alltag. Wer denkt schon nach über den Wert eines Händedrucks in Zeiten, in denen alles normal läuft? Jetzt wird er mir bewusst. Und ich weiß, dass ich künftig diese alltäglichen kleinen Rituale der Verständigung unter uns viel mehr schätzen werde als bisher.
Als ich heimfahre, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass ich hoffentlich in den nächsten Tagen und Wochen keine Beerdigung halten muss. Am Friedhof und am Grab eine Trauerfeier nach den aktuell geltenden Vorschriften zu machen, fiele mir wirklich schwer. Es würde gehen, wenn es müsste. Keine Frage. Doch wie schwer gerade die Verarbeitung des Abschieds von einem Menschen ist, wenn allen Beteiligten äußerste Zurückhaltung auferlegt ist, was tröstende Gesten angeht – davon habe seit heute eine deutliche Vorstellung.
Als ich um kurz vor 19 Uhr in der Sommersdorfer Kirche unsere Osterkerze angezündet habe, bin ich froh um die Möglichkeit, dort in der dämmrigen und stillen Kirche wenigstens noch einmal an den Verstorbenen und seine Familie in Ruhe denken zu können. Vielleicht könnt ihr, die ihr meinen heutigen Tagebucheintrag lest, euch dieser stillen Fürbitte anschließen und heute an alle Verstorbenen dieser Tage und vor allem an ihre Angehörigen denken. Sie müssen schwere Wege gehen – gerade weil Corona uns so viel vorschreibt.
Nachdenkliche Grüße.
Eure Elfriede Bezold-Löhr