Liebe Leserin, lieber Leser, an diesem Wochenende weihen wir in unserer Kirchengemeinde ein Mahnmal ein.…
Besondere Zeiten. Tagebuch, Seite 7
Die erste Amsel hat heute früh um 5.12 Uhr zu zwitschern angefangen. Die ersten Autos waren noch eine halbe Stunde früher unterwegs. Ich kann das so genau sagen, weil ich in der letzten Nacht nur leicht geschlafen habe. Die nachdenklichen und eindringlichen Sätze von Angela Merkel in ihrer Ansprache vom Vorabend haben wohl in mir nachgewirkt.
Wie schaffen wir es, dass wir möglichst alle begreifen, dass wir jetzt tatsächlich voneinander Abstand halten müssen? Mir kam beim Anziehen heute früh ein Gedanke, der im ersten Moment eher spaßig ist: Wir tragen ab jetzt die Corona-Krinoline. Eine Krinoline ist ein Reifrock, wie in früher feine Damen selbstverständlich unter ihren bodenlangen, gebauschten Röcken getragen haben. Mit einer solchen Krinoline durch die Gegend zu spazieren, ist am Anfang extrem gewöhnungsbedürftig. Ich habe das als Tanzschülerin mit 15 Jahren ausprobiert. Am Ende unseres Tanzkurses in Fürth wurden wir gefragt, ob wir beim Abschlussball eine Formation tanzen wollten. Einen barocken Tanz, der einer strengen Choreographie folgt. In Kostümen der Epoche, die aus dem Fürther Stadttheater extra für uns ausgeliehen würden. Die Reaktionen im Kurs können Sie sich sicher sofort vorstellen: Unsere Jungs waren entsetzt. Grässliche Vorstellung, mit Schnallenschuhen und gepuderter Perücke einen Diener vor uns machen zu müssen! Wir Mädels waren begeistert! Rauschende Kleider für uns, die heute nirgends mehr zu kriegen sind – ein Traum! Und wir haben die Jungs natürlich überstimmt.
Das Einstudieren der Schritte war das Eine. Irgendwann hatten wir es drauf und bekamen die Abfolge von Drehungen, Knicksen und Schreiten mit erhabenem Gang ganz gut hin. Dann kamen die Kostüme. Meines war damals karamellfarben, mit Spitzen besetzt (Sie sehen schon, das war alles höchst eindrücklich …. J). Das Reinschlüpfen in die gefühlt tausend Röcke hat noch geklappt. Das Schließen der tausend Häkchen am Oberteil auch. Aber dann kam die erste Tür. Ich rauschte darauf zu – und blieb prompt stecken! Also Kommando zurück. Alle bogen sich vor Lachen … Ich musste tatsächlich üben, unfallfrei und doch mit Würde durch die Tür zu kommen!
Solche Corona-Krinolinen wären jetzt in einer ganz einfachen Funktion zweckmäßig: Sie würden uns auf Schritt und Tritt helfen, Abstand voneinander zu halten. Gleich ob Mann oder Frau, ob Kind oder alter Mensch: Wir hielten dank der Corona-Krinoline den rettenden Abstand zueinander. Mindestens eineinhalb Meter müssen es ja sein. Und wenn jede Corona-Krinoline zwei Meter Durchmesser hätte (und diesen Durchmesser hatten die prächtigen Modelle in der Vergangenheit bestimmt), dann hätten wir den gesunden Abstand zueinander ganz schnell gelernt. Nichts fühlt sich nämlich nerviger an, als wenn dir jemand mangels Abstand dauernd auf den Reifrock steigt – auch das haben wir jenen legendären Tanzstunden schnell gemerkt.
Was ich mit diesem leicht schrägen Bild sagen will, meine ich ernst: Bleiben wir in den kommenden Wochen bitte zueinander auf Abstand. Vielleicht bleibt uns damit eine Ausgangssperre erspart, wie sie in den Nachbarländern schon verhängt worden ist und zur Mega-Prüfung für uns alle, besonders aber für Familien mit Kleinkindern in Mehrfamilienhäusern oder ‚Wohnsilos‘ wird. Es bräuchte dafür unsere Rücksicht auf andere. Selbst diejenigen, die bisher ziemlich gleichgültig sind, möchten gewiss nicht diejenigen infizieren, die sie von Herzen gern haben – ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern. Eines der Hauptanliegen von Jesus im Zusammenleben mit seinen Freundinnen und Freunden war der sorgsame Blick auf andere und die Wertschätzung des eigenen Lebens. Alles andere, die Ehrfurcht vor Gott ausgenommen, könnten Menschen als Leitlinien für ihr Leben hintenanstellen, sagt Jesus einmal in einer Debatte. Doch diese drei Dinge bleiben laut Jesus existenziell wichtige Lebenshilfen: Eine gute Form der Selbstliebe, ein gutes Maß an Sozialkompetenz in Form von tätiger Nächstenliebe und die Achtung gegenüber Gott als der ersten und letzten großen Instanz von allem, was lebt. In diesem Sinn: Gute Erfahrungen mit rücksichtsvollen Menschen, die Ihnen gegenüber in der nächsten Zeit auf Abstand gehen.
Ihre / deine Elfriede Bezold-Löhr